Fazit zu den Stadtteilwerkstätten: Im Gespräch mit Svenja Knuffke, Stadtplanerin

Svenja Knuffke (rechts) bei den Stadtteilwerkstätten

Im Juni 2017 fanden im Rahmen der Bürgerbeteiligung zum Integrierten Stadtentwicklungskonzept Wiesbaden 2030+ vier Stadtteilwerkstätten statt. Dort wurden im „Planspiel der Zukunft“ viele Ideen gesammelt, was getan werden kann, um sich für verschiedene Zukunftsbilder und –Trends in den Wiesbadener Stadtteilen zu rüsten (wir berichteten, siehe Veranstaltungsseite und Pressemeldung). Die Ergebnisse der Werkstätten fließen in das Stadtentwicklungskonzept ein, das das Stadtplanungsbüro Albert Speer und Partner (AS+P) in Zusammenarbeit mit dem Stadtplanungsamt derzeit erarbeitet. Was AS+P aus den Stadtteilwerkstätten mitnimmt, wie der aktuelle Stand in Sachen Stadtentwicklungskonzept ist und wie es jetzt weitergeht, erläutert Svenja Knuffke, Projektleiterin bei AS+P, im Interview mit Michelle Ruesch, Moderatorin der Bürgerbeteiligungsagentur Zebralog.

Frau Knuffke, Sie waren bei allen Stadtteilwerkstätten dabei und hatten Gelegenheit, direkt ins Gespräch mit den Anwohnerinnen und Anwohnern zu kommen. Was kommt Ihnen als erstes in den Sinn, wenn Sie an die Stadtteilwerkstätten zurückdenken?

Als erstes kommt mir in den Sinn, dass im Rahmen der Stadtteilwerkstätten durch das gemeinsame Arbeiten auf dem Stadtplan ein wahnsinnig intensiver Ideenaustausch entstanden ist. Die Anwesenden hatten meist ziemlich konkrete Vorstellungen, was Ihnen in ihrem Stadtteil künftig wichtig ist und die angesetzte Diskussionszeit verging wie im Flug. Im Vergleich der Stadtteilwerkstätten untereinander finde ich es besonders spannend für unsere Arbeit, dass es nicht das „eine Wiesbaden“ gibt, sondern dass je nach Stadtteilwerkstatt unterschiedliche Bedürfnisse und Themen im Mittelpunkt standen.

Es sind ja ganz schön viele Ideen und Hinweise zusammengekommen. Was fanden Sie besonders interessant oder vielleicht gar überraschend? Mit welchen (neuen) Erkenntnissen gehen Sie aus den Stadtteilwerkstätten hervor?

Wie bereits gesagt, ist für uns der Aspekt der unterschiedlichen Bedürfnisse je Stadtteil sehr aufschlussreich. Das ist nichts unbedingt Neues – bestätigt uns aber in der Grundstrukturierung unseres Konzeptes. Und darum geht es ja bei solchen Dialogen: Die Chance zu nutzen eigene Erkenntnisse mit den Menschen vor Ort zu spiegeln und die richtige Einordnung mitzunehmen.

In den ersten beiden Stadtteilwerkstätten rund um die östlichen Vororte dominierten z.B. die Thematiken der Vernetzung untereinander, der Belebung der Ortskerne und der Erhalt der offenen Bebauung mit viel Grün dazwischen. Entlang von Rhein und Main stand der Umgang mit der Nachbarschaft aus Gewerbe und Wohnen im Vordergrund. Die Gestaltung des Rheinufers als Naherholungsraum und die Anbindung in die Innenstadt wird als untergenutzte Chance gesehen. In der Kernstadt hingegen ging es viel um die Frage einer ansprechenden Gestaltung öffentlicher Räume, um Alternativen zum Auto und um die Schaffung zusätzlicher Wohnbauflächen (Nachverdichtungspotenziale).

Allen gemeinsam war der Wunsch nach maßvollem Wachstum. Auch das Thema bezahlbarer Wohnraum und Erhalt der landschaftlichen und charakteristischen Qualitäten waren Querschnittsthemen. Neu und spannend waren die vielen kleinen speziellen Ideen in den Stadteilen – von Parklets über Sport- und Spielplätze als Treffpunkte für alle bis hin zu Start-Ups für Handwerker. Alle kann ich jetzt gar nicht widergeben. Überraschend war dabei der immer wiederkehrende Gemeinschaftsgedanke und dessen Wunsch nach Integration in der Stadtplanung (bspw. Mehrgenerationenhaus, Belebung von Ortskernen, Quartierszentren…) und zwar nicht nur in den östlichen Vororten, sondern auch in der Kernstadt.

Die Stadteilwerkstätten haben uns vor allem geholfen Ideen und Anliegen nochmal etwas besser einordnen zu können und ein Gespür dafür zu bekommen, was wichtig ist.

Und was passiert jetzt mit den Ergebnissen?

Der Input aus den Stadtteilwerkstätten fließt genauso wie der aus den anderen Beteiligungen mit in die Überlegungen zum Stadtentwicklungskonzept ein. Grundsätzlich besteht ein solches Stadtentwicklungskonzept immer aus einem programmatischen Textteil und einem Plan / einer Stadtkarte. Natürlich sind uns im Rahmen eines Stadtentwicklungskonzeptes durch die relativ hohe Flughöhe – sprich das Arbeiten auf dem Maßstab der gesamten Stadt - teilweise Grenzen gesetzt. Im Stadtentwicklungskonzept geht es ja eher um die Definition von übergeordneten Leitplanken in denen sich künftige Entwicklungen abspielen sollen. Auch wenn wir nicht jedes Details eins zu eins abbilden können, sind sie für uns als externes Büro extrem wichtig, um Wiesbaden richtig zu verstehen. Und selbstverständlich dient alles dazu das Konzept zu formen und die richtigen Strategien zu entwickeln.

Ideen, die die Mobilität betreffen, werden im Rahmen des Verkehrsentwicklungsplans (VEP) betrachtet. Hinweise, die nicht im Rahmen des Stadtentwicklungskonzeptes betrachtet werden können, wie zum Beispiel die Ausweitung des Angebots für Kinderbetreuung und Schulen, gehen aber nicht verloren - sie werden an die entsprechenden Fachämter weitergeleitet. Natürlich gab es auch einige Hinweise, die komplett außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Stadt liegen, wie zum Beispiel Ideen, die ein privates Grundstück betreffen. Vielfach ist eben auch Eigeninitiative gefordert, um Ideen umzusetzen.

Es gab im März 2017 bereits eine Bürgerwerkstatt und einen Online-Dialog. Wie knüpfen die Ergebnisse der Stadtteilwerkstätten an die Ergebnisse der vorherigen Bürgerbeteiligung an?

Der gesamte Planungs- und Beteiligungsprozess des Stadtentwicklungskonzeptes ist ja so angelegt, dass wir von der Analyse und der gemeinsamen Zieldefinition über die Diskussion möglicher Zukunftsbilder bis hin zu einem Gesamtkonzept entwickeln wollen. Die Grundthemen aus den Stadtteilwerkstätten sind also ähnlich zu denen, die uns bereits in den ersten Beteiligungen genannt wurden – nur sind sie jetzt viel konkreter und auf die Stadtteile bezogen. Außerdem haben wir diesmal mit Hilfe von übergeordneten Trends den Blick ganz bewusst weg von den heutigen Problemen hin zu Möglichkeiten in der Zukunft – 2030 und darüber hinaus – lenken wollen. Die Menschen sollten sich in die Zukunft versetzt fühlen und dann überlegen, wie ihr Stadtteil aussieht und was er braucht. Die Diskussion in kleineren Gruppen hat es zudem ermöglicht sich direkter auszutauschen – eigene fachliche Ansätze zu erläutern und aufeinander einzugehen.

Und wie sieht es mit der Beteiligung von Politik und Verwaltung aus? Auch diese sind intensiv an der Entwicklung des Konzeptes beteiligt. Wo sind sich Bürgerschaft, Politik und Verwaltung einig, wo gibt es Widersprüche?

Politik und Verwaltung haben wir parallel zu den Bürgerinnen und Bürgern beteiligt. In einem „Szenario-Workshop“ haben wir ebenfalls über mögliche Zukunftsbilder und Trends diskutiert. Sowohl in Politik und Verwaltung als auch in der Bürgerschaft gab es kontrovers diskutierte Themen und solche wo Einigkeit herrschte. Kontrovers wurde z.B. in beiden Beteiligungen die Frage nach dem richtigen Maß an Wachstum diskutiert. Immer wiederkehrende Themen waren außerdem die Citybahn, die Problematik von Wohnen und Arbeiten am Rhein, Lösungsansätze zur Minderung des hohen MIV-Anteils und der Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Bei den Stadtteilwerkstätten kamen dann natürlich noch differenzierte Betrachtungen zur Sprache, wie z.B. die Vernetzung der östlichen Vororte untereinander. Große Widersprüche - also zwischen Verwaltung/Politik und der Bürgerschaft - fallen mir eigentlich gerade gar keine ein. In den Stadtteilwerkstätten wurde sich einfach auf den jeweiligen Teilbereich konzentriert, während Politik und Verwaltung die Gesamtstadt im Blick hatten.

Wie gehen Sie mit Widersprüchen im Konzept um?

Wenn sich Widersprüche auftun, ist der Prozess zum Stadtentwicklungskonzept genau die richtige Plattform, um gemeinsam darüber zu reden und Lösungswege zu suchen. In der Stadtplanung gibt es natürlich immer wieder mal Widersprüche – gerade wenn es um die Belegung von Flächen geht (wird eine Fläche z.B. Wohnen oder Gewerbe?) – weil in einer Stadt so viele Interessen aufeinander treffen. Es ist klar, dass im Sinne eines gesamtheitlichen Ansatzes auch Prioritäten getroffen werden müssen. Daher ist es wichtig Konflikte genauso wie Synergien frühzeitig aufzudecken und nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen.

Bis wann soll das Konzept fertiggestellt sein?

Das Konzept soll zum Ende dieses Jahres inhaltlich stehen. Der Entwurf zum Konzept wird im Herbst vorliegen und dann auch noch einmal den Bürgerinnen und Bürgern erläutert, ebenso wie der Politik und Verwaltung. Der Entwurf wird da nochmal auf den Prüfstand gestellt und es wird geschaut, ob alles nachvollziehbar ist und im Großen und Ganzen so als Richtungsgeber für die Zukunft der Stadt Wiesbaden dienen kann. Anschließend wird aus dem Konzept eine politische Beschlussvorlage abgeleitet, die im Frühjahr 2018 durch die verschiedenen politischen Gremien geht. Im Sommer 2018 soll der Prozess dann mit einer Ausstellung und einer Publikation abgeschlossen werden. Das Stadtentwicklungskonzept soll allerdings nicht in der Schublade verschwinden, sondern als Korrektiv für künftige Entscheidungen und als Grundlage für einen neuen Flächennutzungsplan dienen. Meist ergeben sich aus so einem Konzept dann auch weitere kleine Teilprojekte, die nach und nach umgesetzt werden können.

Herzlichen Dank für das Interview. Wir sind gespannt auf den Konzeptentwurf, den Sie im Herbst im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung vorstellen werden.